Und nie im rechten Winkel
Regina Dürig: Frauen und Steine.
Wer hätte gedacht, dass der «Katalog der Frauen» des antiken Dichters Hesiod etwas mit online Inseraten für gebrauchte Sexpuppen zu tun hat? Regina Dürig ist Expertin für solch übersehene Verstrickungen, und sie erkennt sie nicht nur, sondern verfügt auch über die sprachliche Kunstfertigkeit, um sie aufzuzeigen. «Geht’s doch nur ums Gelände. Wo die Herren Zeus etc. sich hinpflanzen, einsäen, ins Keimen geraten». Und: «Ich bin in Foren, weil ich beweisen will, dass der Katalog, dass der irgendwie schuld an allem ist.»
Die deutsche Schriftstellerin, die in den Nuller Jahren nach Biel kam, um als eine der ersten am Schweizerischen Literaturinstitut zu studieren, bezeichnet ihre Arbeit gelegentlich als Autoethnografie: als eine Form von Aufzeichnung, bei der die eigene Erfahrung zum Schlüssel für die Erforschung einer Kultur wird. Dieses Vorgehen prägt auch den Erzählband «Frauen und Steine». Zum Beispiel wenn Dürig eine Art Biografie über die US-amerikanische Altphilologin Alice Kober (1906–1950) schreibt, und dabei die eigene Recherche im Archiv, vor allem aber ihre Faszination mitreflektiert. «Was interessiert mich so sehr an ihr? Ich habe mich mal fürs Rudern interessiert, aber das mit Kober und mir ist etwas anderes. Inter-Esse: das Dazwischen-Sein. Wozwischen ich bin, wenn ich über Alice nachdenke: Bewunderung und Aufruhr. Vergangenheit und Zwischenzeit. Brillanz und feiner Staub. Der Mut, ambitioniert zu sein als Frau im frühen 20. Jahrhundert. Der Mut, belächelt zu werden, als obsessiv zu gelten, alle Kapazität in ein Problem zu stecken, eine Frage, die unlösbar scheint: die Entzifferung einer Schrift aus der Bronzezeit.» Die gegenwärtige Situation der Autorin wird so ständig mit der Vergangenheit verwoben. Anstatt die Geschichte anhand der Quellen zu rekonstruieren, stellt sich Dürig das Leben ihrer Protagonistin vor, zieht Parallelen, entdeckt oder vermutet Gemeinsamkeiten. Wie zum Beispiel die gewollte Kinderlosigkeit, auf die männliche Kollegen im Fall von Kober mit Frotzeleien reagieren. «Inter-esse: Dass es offensichtlich keine Rolle spielt, wie erfolgreich und klug man ist. Man bleibt ein Bauch.»
Doch reicht der Begriff der Autoethnografie nicht aus, um zu beschreiben, was sich in diesem Buch ereignet. Tatsächlich enthält es ein ganzes Universum. Auf nur zweihundert Seiten erfindet Dürig mehrere literarische Gattungen und experimentiert mit bestehenden, um sie völlig neu zu entdecken. Was die unterschiedlichen Texte verbindet, ist die gleichzeitige Erforschung von Welt und Sprache: beide brüchig, im Grunde unverfügbar, und doch allgegenwärtig und formbar – für die, die damit umgehen können. «Einfach dem Stein folgen», lernt Dürig in einem Kurs bei einer Bildhauerin, «und nie im rechten Winkel». Es könnte eine Allegorie für ihr eigenes Schreiben sein.
Regina Dürig: Frauen und Steine. Erzählungen. Droschl Verlag 2025.